Wer eine Rechtsschutzversicherung hat, kann sich freilich sogleich durch einen Patientenanwalt beraten lassen. Auch der Patientenanwalt braucht aber das Gedächtnisprotokoll des Patienten, muss die Patientenakte anfordern und lesen und benötigt eine medizinische Bewertung, um juristisch argumentieren zu können. Diese Vorbereitungen kann jeder auch ohne Anwalt tun:
Jede professionelle Prüfung eines Behandlungsfehlervorwurfes beginnt damit, den Sachverhalt zu erfassen. Dazu braucht man von der Seite der Behandelnden die Krankenunterlagen und von Seiten des Geschädigten ein Gedächtnisprotokoll:
→ Fertigen Sie zeitnah ein Gedächtnisprotokoll (siehe Muster Gedächtnisprotokoll).
Eines der wichtigsten Patientenrechte ist das Recht auf Einsicht in die Krankenunterlagen, § 630 g BGB. (Die Begriffe Krankenunterlagen und Patientendokumentation sind gleichbedeutend. Das Gesetz verwendet den Begriff Patientenakte und meint dasselbe.)
→ Fordern Sie Ihre Krankenunterlagen an (siehe Muster).
Sollte der Behandelnde die Anfertigung von Kopien verweigern, können Sie auf Ihre Patientenrechte gemäß § 630 g BGB und die Berufsordnung der Ärzte verweisen oder eine Beschwerde an die jeweils zuständige Ärztekammer schreiben.
Streng genommen bedeutet „Einsicht“, dass der Patient in die Praxis gehen und dort Einsicht in die Krankenunterlagen nehmen darf. Die Rechtsprechung meint zwar, dass aus „Treu und Glaube“ ein Anspruch auf Kopien folgen kann. Jedenfalls soweit das dem Behandelnden zuzumuten sei (weil er ein Kopiergerät habe) und der Patient dem Behandelnden die Kopierkosten erstatte. Und meist schicken Ärzte/Krankenhäuser dem Patienten Kopien gegen Erstattung des Portos auch zu. Rechtlich handelt es sich aber um eine Hol-Schuld. Das heißt, der Patient müsste die Kopien in der Praxis abholen. Mit Urteil vom 26.10.2023 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass Patienten nach der Datenschutzgrundverordnung einen Anspruch haben auf eine kostenlose Überlassung einer Kopie ihrer Patientenakte. Bis zum Urteil des EuGH konnten Kopierkosten verlangt werden von bis zu 50 Cent je Seite (so das Landgericht München im Urteil vom 19.11.2008). Meist benötigt man ja nicht nur die Unterlagen des Anspruchgegners, sondern auch die der vor- und nachbehandelnden Ärzte. Soweit Sie sich von diesen Ärzten weiterbehandeln lassen wollen, fragt sich, ob Sie trotz des Anspruchs auf kostenlose Überlassung den Aufwand nicht im Rahmen des bisher Üblichen vergüten wollen.
Inzwischen mag aus der Datenschutzgrundverordnung ein Anspruch auf kostenlose Überlassung der Patientenakte folgen. Der Bundesgerichtshof hat die Frage mit Beschluss vom 29.03.2022 dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt. Bevor das also noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, empfehle ich Patienten, den Ärzten noch die Kopierkosten zu erstatten.
Haben Sie Zweifel an der Richtigkeit der Krankenunterlagen, können Sie die Behandlungsdaten über die Kassenärztliche Vereinigung erfahren bzw. Ihre Krankenversicherung erfahren, also was der Arzt abgerechnet hat.
Laut § 29 Abs. 1 Berufsordnung der Hamburger Ärzte ist unsachliche Kritik an Kollegen verboten. Aber sachliche Kritik ist Ärzten nicht nur erlaubt, sie sind laut Berufsordnung sogar dazu verpflichtet:
„Die Verpflichtung des Arztes…, auch soweit es die Behandlungsweise eines anderen Arztes betrifft, nach bestem Wissen seine ärztliche Überzeugung auszusprechen, bleibt unberührt.“
Vielen Ärzten ist dieser Unterschied nicht klar. Also formulieren Sie Ihren Behandlungsfehler-Vorwurf als Frage und
→ bitten Sie einen Arzt um sachliche Kritik!
Wenn Sie gesetzlich versichert sind, können Sie bei Ihrer Krankenkasse anregen, die Krankenunterlagen auf einen Behandlungsfehler hin prüfen zu lassen. Das ist für Sie kostenlos.
→ Schreiben Sie Ihre Krankenversicherung an (siehe Muster).
Die Krankenversicherungen „sollen“ gemäß § 66 SGB V die Versicherten bei der Verfolgung von Schadenersatzansprüche unterstützen. Sie „können“ nach dieser Vorschrift die „von den Versicherten vorgelegten Unterlagen“ prüfen und weitere Unterlagen anfordern. In der Regel erfolgt diese Unterstützung durch Veranlassung eines Gutachtens über den Medizinischen Dienst.
Ob der Versicherte selbst die Krankenunterlagen anfordern muss oder die Krankenversicherung das für ihn tut oder ihm wenigstens die Kopierkosten des Krankenhauses erstattet, wird unterschiedlich gehandhabt.
Sie können sich an die Schlichtungsstellen der jeweiligen Landesärztekammer wenden. Diese können ebenfalls ein Gutachten wegen möglicher Behandlungsfehler anfertigen lassen. Auch das ist für Sie kostenlos. Allerdings muss die Gegenseite mit dem Verfahren einverstanden sein. Denn die Gegenseite muss die Kosten des Verfahrens tragen.
→ Wenden Sie sich an die Ärztekammer in dem Bundesland, in dem der Arzt/Krankenhausträger seinen Sitz hat, bei dem sie einen Behandlungsfehler vermuten.
In Bremen:
Schlichtungsstelle der Ärztekammer Bremen.
In Hamburg:
Schlichtungsstelle der Ärztekammer Hamburg.
In Mecklenburg-Vorpommern:
Schlichtungsstelle der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern
In Niedersachsen:
Schlichtungsstelle der Ärztekammer Niedersachsen.
In Schleswig-Holstein:
Schlichtungsstelle der Ärztekammer Schleswig-Holstein.
In besonderen Fällen mag man an eine Strafanzeige gegen den Arzt denken oder „die Medien“. Auch die Staatsanwaltschaft und die Medien verlangen aber eine hinreichende Beweisbarkeit des Behandlungsfehler-Vorwurfes. Ohne hinreichende Beweismittel steht man also nicht unbedingt besser da als in einem zivilrechtlichen Verfahren. Da Strafanzeige und Medien den Ton erheblich verschärfen, sollte man sich den Einsatz dieser Mittel sehr gut überlegen.
Gleiches gilt für Internetbewertungen. Die Wahrheit darf man zwar sagen. Man muss sie aber auch beweisen können. Behauptet man Tatsachen, die das Ansehen einer Person schädigen können, setzt man sich möglicherweise dem Vorwurf einer Verleumdung aus. Erstattet die Gegenseite Strafanzeige, muss man der Staatsanwaltschaft beweisen, dass die behauptete Tatsache wahr ist.
Musterschreiben zum Download:
Gedächtnisprotokoll und Liste der Behandelnden
Muster für Gedächtnisprotokoll und Liste der Behandelnden mit 7 hilfreichen Tipps
Anschreiben Krankenunterlagen
Muster für ein Anschreiben an Behandelnde/Krankenhaus mit der Bitte um Einsicht in die Krankenunterlagen
Anschreiben Krankenversicherung
Muster für ein Anschreiben an die Krankenversicherung
mit der Bitte um Erstellung eines Gutachtens
Schweigepflichtentbindungserklärung
Muster für die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht (Anlage zu den o.g. Anschreiben)
Außerdem finden Sie bei den folgenden, externen Links weitere hilfreiche Informationen:
Anwalt.de: Stöbern Sie in den Rechtstips auf Anwalt.de
AWMF: Leitlinien für medizinische Behandlung
Bundes-Klinik-Atlas: Wie oft macht welche Klinik welchen Eingriff?
Medilaw: Gesetzessammlung zum Medizinrecht
Netdoktor: Lexikon medizinischer Begriffe
Rechtsanwälte Kotz: Urteilssammlung zum Medizinrecht
ÖRA: (kostenlose) Öffentliche Rechtsauskunft Hamburg
Patientenverfügung/Vorsorgevollmacht: Muster des BMJ
Prozesskosten-Rechner
Prozesskostenhilfe-Rechner
Schmerzensgeld.info: Fallsammlung zu Schmerzensgeldern