Was bedeutet Beweislast? Mit welchen Beweismitteln beweist man Behandlungsfehler in der Arzthaftung? Wann ist überhaupt etwas bewiesen? Was muss man für einen Behandlungsfehler beweisen? Kann man aus dem Misserfolg der Operation auf einen Behandlungsfehler schließen? Wann gilt eine Beweislastumkehr? Wie bewertet man also die Erfolgsaussichten? Wie ist die Erfolgsquote in Arzthaftungssachen allgemein?
Grundsätzlich muss im Zivilprozess jeder das beweisen, was für ihn günstig ist. Der geschädigte Patient will Schadenersatz. Er muss beweisen, dass die Voraussetzungen für einen Schadenersatzanspruch vorliegen. Voraussetzungen sind insbesondere, dass es
1. einen Behandlungsfehler gibt,
2. dieser ursächlich geworden ist für eine Körperverletzung (haftungsbegründende Kausalität)
3. die ihrerseits ursächlich geworden ist für körperliche oder finanzielle Schäden, z.B. eine Gehbehinderung oder Kosten (haftungsausfüllende Kausalität).
Geld gibt es nur, wenn der Patient alle drei Hürden überwindet. Kann er eine oder mehrere Voraussetzungen nicht beweisen, geht das zu seinen Lasten. Daher heißt es Beweislast.
Viele Patienten denken, der Richter höre sich die Parteien an, „verrühre“ alles, was er hört, zu einer „Suppe“, schmecke diese ab und spreche dann Recht je nach Bauchgefühl. Stattdessen hält sich das Gericht aber „gefühllos“ an das Gesetz. Und das Gesetz verlangt vom Kläger, dass er die seinen Anspruch begründenden Tatsachen beweist, also Fehler, Ursache, Schaden.
Für Behandlungsfehler und Kausalität ist der sogenannte „Strengbeweis“ erforderlich. Strengbeweis bedeutet, dass der Kläger den Beweis nur durch bestimmte Beweismittel erbringen kann wie Zeugen, Urkunden und insbesondere ein gerichtliches Sachverständigengutachten für die medizinische Bewertung.
Also sind außergerichtlich eingeholte Gutachten (des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherungen oder das privat bezahlte Gutachten selbst eines vereidigten Sachverständigen) kein Beweis. Sie gelten nur als sogenannter „qualifizierter Parteivortrag“. Sie helfen bei der Argumentation oder dabei, Fragen an den gerichtlichen Sachverständigen zu stellen.
Nur wenn eine Partei keine Beweismittel hat, wird das Gericht ersatzweise die beweisfällige Partei anhören. Dass allein die Anhörung einer Partei ein Gericht überzeugt, ist sehr selten.
Der Beweis ist geführt, wenn der Richter die „Überzeugung“ gewonnen hat, dass eine Behauptung wahr ist. Es genügt also nicht, dass er die Behauptungen der einen Partei für wahrscheinlicher wahr hält als die der anderen. „Aussage gegen Aussage“ endet nicht mit einem „unentschieden“, sondern geht zu Lasten desjenigen, der etwas beweisen muss. Im Zweifel also zu Lasten des klagenden Patienten.
Der Bundesgerichtshof hat zum Begriff dieser Überzeugung in einem berühmten Urteil vom 17.02.1970 (III ZR 139/67) gemeint:
„Eine von allen Zweifeln freie Überzeugung setzt das Gesetz dabei nicht voraus. Auf diese eigene Überzeugung des entscheidenden Richters kommt es an, auch wenn andere zweifeln oder eine andere Auffassung erlangt haben würden. Der Richter darf und muß sich aber in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewißheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen.“
Verstummen also diese Zweifel des Richters nicht, ist er nicht überzeugt. Dann ist der Beweis nicht geführt, er weist die Klage ab. Das ist mit dem lateinischen Rechtsgrundsatz gemeint „in dubio pro reo“ (im Zweifel für den Angeklagten/Beklagten).
Nur über Folgeschäden (wie Vermögensschäden) kann der Richter gemäß § 287 ZPO nach freier Überzeugung entscheiden und nach seinem Ermessen Beweisaufnahmen durchführen oder auch nicht.
Ein Behandlungsfehler liegt dann vor, wenn der sogenannte „Facharztstandard“ unterschritten wurde. Der Bundesgerichtshof hat diesen Begriff ausgefüllt (BGH, Urteil vom 15.04.2014, VI ZR 382/12):
„Der Standard gibt Auskunft darüber, welches Verhalten von einem gewissenhaften und aufmerksamen Arzt in der konkreten Behandlungssituation aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereiches im Zeitpunkt der Behandlung erwartet werden kann. Er repräsentiert den jeweiligen Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und der ärztlichen Erfahrung, der zur Erreichung des ärztlichen Behandlungsziels erforderlich ist und sich in der Erprobung bewährt hat.“
Unterscheiden muss man dabei auch die sogenannte Ex-ante-Perspektive von der Ex-post-Perspektive: Dass sich eine Diagnose oder ärztliche Maßnahme im Nachhinein als falsch oder erfolglos herausstellt, bedeutet nicht zwangsläufig einen Behandlungsfehler. Ein Behandlungsfehler liegt nur vor, wenn sich die Maßnahme auch im Vorhinein dem Arzt als falsch oder erfolglos erschließen musste. Der Sachverständige muss sich also in die Lage des Arztes zu Beginn der Behandlung versetzen (hätte er z.B. den feinen Knochenbruch auch schon im ersten Röntgenbild gesehen ohne Kenntnis des später angefertigten CTs?).
Da der Richter für die medizinische Bewertung auf Sachverständige angewiesen ist und diese den Sachverhalt anhand der Patientendokumentation prüfen, ist die Zahl der erfolgreichen Patientenklagen bei operativen Fächern größer als in anderen Fächern. Denn anhand von Röntgen-, CT- oder MRT-Bildern lassen sich Behandlungsfehler besser durch Sachverständige nachvollziehen als Arztfehler in anderen Fächern.
Aus dem Misserfolg einer Behandlung lässt sich nur selten zwingend der Rückschluss auf einen Behandlungsfehler ziehen. Dass man krank zum Arzt geht und „kränker“ wieder nach Hause kommt, ist noch kein Beweis für einen Behandlungsfehler. Krankheiten haben unvorhersehbare Verläufe. Operationen haben unbeeinflussbare Risiken. Auch beim besten Operateur, der alles richtig macht, kann die Schraube aus dem Knochen brechen.
Der Behandlungsvertrag ist daher juristisch ein sogenannter Dienstvertrag. Der Arzt schuldet keinen Erfolg, sondern nur einen Dienst. – Das ist der Unterschied zu einem Werkvertrag. Bei einem Werkvertrag, wie z.B. einer Kfz-Reparatur muss der Werkunternehmer, also die Werkstatt, für jeden Mangel gerade stehen, weil sie einen Erfolg schuldet. Denn ein Auto lebt nicht. Man muss „nur“ das richtige Teil anschrauben.
Das Gesetz gewährt Patienten Darlegungs- und Beweiserleichterungen, weil ein Patient eben kein Arzt ist.
Sie müssen daher den Vorwurf nicht medizinisch begründen, sondern nur laienhaft formulieren.
Bei Dokumentations- oder Organisationsfehlern, ja bei „groben Fehlern“ kommt sogar eine sogenannte Beweislastumkehr in Betracht, § 630 h BGB. Dann muss der Arzt sich entlasten.
Die einzelnen gesetzlichen Regelungen finden Sie auf meiner Unterseite Patientenrecht erläutert.
Um zunächst die Erfolgsaussichten einzuschätzen, können Sie als Patient (siehe Behandlungsfehler – was tun?)
– Einsicht in die Krankenunterlagen nehmen,
– ein für Sie kostenloses Gutachten des Medizinischen Dienstes einholen lassen,
– ein Privatgutachten einholen (dazu gibt es auf Gutachten-Institute, die auf Arzthaftungsfragen für die Patientenseite spezialisiert sind, z.B. Medical Scan oder Lex Medicus),
– die Schlichtungsstelle des jeweiligen Bundeslandes anrufen.
Im Prozess holt das Gericht dann das gerichtliche Sachverständigengutachten ein (für das der Patient als beweisbelastete Partei einen Kostenvorschuss leisten muss, der sich üblicherweise auf Beträge zwischen 1.500 und 2.500 EUR beläuft).
Die „Erfolgsquote“ für Behandlungsfehler mit nachweislicher Schadenursächlichkeit in Verfahren vor den Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen betrug laut deren eigener Statistik im Jahre 2007 24%. Demnach erwiesen sich die Vorwürfe in einem von vier Fällen als berechtigt.
Das bedeutet nicht, dass die anderen drei Fälle fehlerfrei waren. Aber der Gutachter kann eben „die Wahrheit“ meist nicht feststellen. Er kann sich nur an das halten, was noch da ist: Die Krankenunterlagen, bildgebende Diagnostik und vielleicht eine körperliche Untersuchung des Geschädigten, wenn dadurch nicht nur der Schaden, sondern auch dessen Ursache noch festzustellen sind.
Manchmal lassen sich bestimmte Vorwürfe entkräften, Fehler ausschließen. Aber oft kann man weder das eine noch das andere ausschließen. Und dann wäre es besser, Sachverständige und Schlichtungsstellen würden das auch so schreiben: Dass sie eben keinen schadenursächlichen Behandlungsfehler nachweisen können. Und dass das freilich nicht aussschließt, dass es doch einen gab.
Stattdessen schließen Sachverständige – und leider auch Schlichtungsstellen – auch aus dem fehlenden Nachweis, dass es keinen Behandlungsfehler gab, und schreiben dann: „Der Verlauf war schicksalhaft“. Nähme man das Wort ernst, bedeutete das, der Sachverständige oder die Schlichtungsstelle maßten sich an, die Wahrheit oder gar „das Schicksal“ des Patienten zu kennen. Ob aus Anmaßung oder Gedankenlosigkeit benutzt, jedenfalls sorgt das Wort „schicksalhaft“ unnötig für Unfrieden.